Antonio Catelani

Giorgio Maragliano


“Ipercromo”, Künstlerhaus Palais Thurn und Taxis, Bregenz Gli Ori, Prato, 2005

Giorgio Maragliano
Lichtnatur

Ein Verlangen scheint die Kunst noch in jüngster Zeit zu durchziehen.
Können wir heute von einer „realistischen“ Berufung der Malerei sprechen? Dieselbe Bezeichnung wurde tatsächlich bereits für ganz andere Werke geltend gemacht, und „real“ erscheinen konnte sowohl die mimetische Wiedergabe von etwas als auch die Darstellung eines Teilchens ohne Bezug zur Malerei; Realismus war auch das, was die kubistische oder suprematistische Malerei im Namen einer höheren Wahrnehmung des Raumes zu erreichen suchte.
Obwohl die Bedeutung in der Vielfalt der Auseinandersetzungen unterzugehen scheint, glaube ich, dass die in den unterschiedlichsten Formen des modernen Realismus ausgedrückte Brisanz nicht unterschätzt werden darf. Im Gegenteil, gerade die Mannigfaltigkeit, mit der die Kunst heute dieser Forderung nach Realismus zu entspre- chen sucht, weist auf deren zentrale Bedeutsamkeit hin. Wie nun diesem Bedürfnis nach Realität eine Form geben, sowohl im Wirken des Künstlers als auch in der Art und Weise, in der das Werk sich uns darbietet? Eine mögliche, vielleicht exemplarische Antwort ist in den Elementen gelegen, derer sich die Kunst bedient: in der Grammatik der Malerei, der Fläche, der Linie und der Farbe, die Bedingung um diese Schwundstufe zu erreichen, die in einer bestimmten Definition dessen, was wir Realität nennen, mit enthalten ist. Auf die Weise wird eine Grundlage geschaffen, die das malerische Tun bestimmt, unter ständigem Aufzeigen dessen, was für die Kunst Mittel und Zweck ist. Aber so, gerade in dem Moment, in dem es scheinen könnte, dass die Kunst ein sicheres inneres Kriterium erreicht habe, welches das Schaffen nicht minder orientieren kann als das Urteil, kommt es zu einer seltsamen Umkehrung.
In dieser Absicht wiegt nämlich die Gefahr, dass die Voraussetzung gegen den Zweck eingetauscht wird. So wurden in einer prometheischen Versuchung lautstark Grundlagen aufgestellt und gleichzeitig das Ende dessen verkündet, was sie Jahrhunderte lang dargestellt hatten: wie es in den drei monochromen Bildern Rodschenkos geschah, aber im Grunde harmlos, weil dabei die Frage nach der Realität umgangen wurde, welche die Malerei glücklicherweise noch immer beschäftigt. Wenn man in Bezug auf die darstellende Kunst von Realität sprechen kann, so kommt diese nicht umhin zur Kenntnis zu nehmen, dass ihre Mittler – ihr Medium – auf Anderes verweisen; dennoch, wenn sie ihrer Aufgabe treu bleiben will, muss sie auch ihr Medium als ein Ziel annehmen – „Das was man über Kunst sagen kann ist eines: Kunst ist Kunst-als-Kunst und alles andere ist etwas anderes“ schrieb Ad Reinhardt. Handelt es sich um eine Impasse, aus der es einen Ausweg zu finden gilt, oder vielmehr um eine ursprüngliche Beziehung, gleich dem ureigenen Charakter der Malerei? Die Antwort auf diese Frage ist vielleicht in der Auseinandersetzung mit der Fläche gelegen, unabdingbare Bedingung der Malerei, und, könnte man hinzufügen, der Bedeutsamkeit.
Jeder Wunsch, das Elementare, die Grammatik, die Grundlage der Malerei zu fassen, muss der Doppelnatur der Fläche Rechnung tragen, auf der die Linien und die Farben aufgetragen werden: Wand, Leinwand, jede Ober- fläche, die Zeichen, Spuren, Indizien aufweisen und verwahren. Sobald eine oder mehrere Linien, eine oder mehrere Farben auf die Fläche aufgetragen werden, geschieht etwas, ergibt sich zuerst auf wenig evidente Weise aber von Anfang an ganz präsent, ein Spiel von Beziehungen, von dem gesagt werden kann, dass die ver- schiedenen Versuche, darüber Rechenschaft abzulegen, zu recht unterschiedlichen Konzeptionen des kün- stlerischen Schaffens führen.
Wenn wir deren Extreme umreißen wollten, würden wir sagen, dass für einige, sobald eine Linie oder eine Farbe auf eine Oberfläche aufgetragen wird, das, was sich ergibt, eine Illusion ist, die uns unmittelbar veranlasst, die Fläche zu vergessen, auf die diese Zeichen aufgetragen werden: eine Position, die eine mimetische Vorstellung der Malerei privilegiert, für die jedes Zeichen sofort und ganz und gar in den Verweis auf seine Bedeutung transzendiert. Eine durchaus moderne Position und weniger archaisch als man glaubt, da sie eine explizite Polemik gegen die Prinzipien jener Malerei enthält, die abstrakt oder modernistisch genannt wurde: denn diese Malerei – zumindest in ihrer besten Tradition – fordert, dass das Bild zugleich die materielle Ebene und die malerische Ebene sichtbar macht, in einem wechselseitigen Verweis, den zu beschreiben schwierig ist, wenn nicht mit den formalen Termini des malerischen Tuns selbst, und die die Idee einer Präsenz, die durch nicht denotative Zeichen entsteht, definiert, indem sie den Unterschied zwischen Illusion und Apparenz aufzeigt. Die Apparenz ist nämlich, im Unterschied zur Illusion, ein Zustand in dem die von der Malerei erzeugte Oberfläche und die materielle Ebene gleichzeitig präsent sind, in einer von Linien und Farben genährten Oszillation, die

jedoch als solche sichtbar bleiben. Die Realität, die diese anzeigen, ist die Wirkung einer Manifestation, des Sich- sehen-machens von etwas, das die Kondition seines Manifestierens sozusagen einschließt. Deshalb sind und erscheinen Linien und Farben gleichzeitig, in einer seltsamen Koaleszenz mit dem Grund, auf den sie auf- getragen sind. Das Medium wird hier also zu etwas vom indifferenten Instrument zur Vermittlung bereits bestehender Signifikate Verschiedenem: authentischer Träger, selbst Symbolon, in seinem ständigen Verweisen auf anderes, des Primats des Signifikanten vor dem Signifikat. Die Öffnung hin zur Transzendenz wird hier nicht das Ergebnis einer beliebigen und subjektiven Intention sein, sondern vielmehr der Ausdruck dessen, wie die Malerei ihr Nichts-anderes-sein als Apparenz, Manifestation offenbart.
Dass die Malerei von Antonio Catelani als Meditation über die Beziehung von gemalter Fläche und Oberfläche verstanden werden darf, dem kann man, denke ich, zustimmen. Hinzugefügt werden müsste, dass sie dabei besonderes Augenmerk auf die Engstellen und offenen Wege legt, die die Tradition der modernen Malerei angetroffen hat, und auf die Wiederanfänge, derer es bedurfte, als eine neue syntaktische Artikulation durch die Konzentration auf einen Aspekt ihrer Grammatik möglich wurde.
Zu den Fragen, mit denen sich die Malerei Catelanis näher beschäftigt, gehört zweifellos jene nach der Definition des Verhältnisses zwischen den Teilen und dem Ganzen. Für eine bestimmte Tradition innerhalb der Malerei der zweiten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts war der zu bändigende Dämon die Komposition, das heißt, ein Vorgang, der das Zusammenwirken – das organische hätten ihre Verfechter gesagt – von einzelnen Teilen in etwas Ihrer Summe Übergeordnetes anstrebte. Dem gegenüber stand ein Verfahren, welches die einfache Wiederholung des Identischen verlangte, eine Sache nach oder neben der anderen, in einer antisyntaktischen und nicht hierarchischen Anordnung, bei der das Ganze in bestimmter Weise in jedem einzelnen Teil enthalten ist, oder vielmehr jedes mal neu entsteht im einzelnen und lokalisierten Bezug auf das, was nach außen fällt – die Wand, der Körper des Betrachters, der „Raum“.
Das Problem dieses Abdriftens, dessen Wirkung wir jetzt erfahren, besteht vielleicht darin, dass unbewusst jene Art von semantischer Aufforderung gefördert wurde, welche den Erwartungshorizont der heutigen Kunst schließt, und sie auf eine Notwendigkeit der Öffentlichkeit reduziert. Die Minimal Art hatte bereits im physischen und phänomenologischen Sinn beabsichtigt, was heute in einem ganz mimetischen Sinn vorherrscht und zurückzuführen ist auf das minimalistische Missverständnis über den öffentlichen Charakter von Zeichen, die ihre Bedeutung aus dem Zusammenhang herleiten gegenüber dem privaten, von Zeichen, wie die malerischen, die Kenntnis der Kunstgeschichte erfordern würden.
Die seltsame Verwirrung zwischen Öffnung und Zugänglichkeit des Kunstwerks, die diese Gegenüberstellung bedingt, führt dazu, dass sich die Grammatik als konstituierendes Moment des Werks verliert, in dem Maß, in dem diese ein Geflecht von internen Gliederungen schafft, zu Gunsten einer schwachen Syntax, parasitisch im Vergleich zu den geltenden Regeln der Kommunikation – die Gleichzeitigkeit von Pop- und Minimalart ist in diesem Sinn auch hybride Intentionsgemeinsamkeit.
Die Tatsache, dass Catelani lange Zeit in den drei Dimensionen gearbeitet hat, scheint uns einen anderen Weg aufzuzeigen. Von Anfang an hatten seine Skulpturen mit der Fläche zu tun, der Fläche als tektonische Bildnerin von Volumina, Öffnungen in den Raum (Leeren) und von Gefügen, die sich aus der Überlagerung von Formen definieren. Die explizite Betonung auf dem generativen Moment der Fläche erhält in der folgenden Beschreibung exemplarischen Wert:
„Der Titel Modelli bezeichnet eine Serie von ab 1987 realisierten Papierarbeiten, die aus einem zugeschnittenen, gefalteten und mit Metallklammern geschlossenen Karton entstehen und sich aus der sich darauf befindenden Zeichnung definieren. Ihre Natur ist Widerrufbarkeit des in Balance Gehaltenen: Vergänglichkeit des Materials, Vorläufigkeit der Idee, die sich an etwas Leichtes wie Seidenpapier oder einer Bleistiftschraffur hält. Modell ihrer selbst, sind sie als Grenzfigur zwischen Projekt und fertigem Objekt sowohl das eine als auch das andere.“
Die Präsenz einer Form, die sich als Projekt und gleichzeitig Werk in einer schwankenden Bedingung zwischen Vorwegnahme und Ergebnis befindet, – die besondere Bedeutung des Terminus Modello bringt dies sehr gut zum Ausdruck: Modell von etwas, von sich selbst als allegorische Vorankündigung des Prinzips – kann hier als klare Definition des potentiellen Charakters dienen, den Catelani der Fläche zuschreibt. Der Übergang von der dritten zur zweiten Dimension wird mit dem Wunsch begründet, die Schaffenskraft, die sich in seinen Skulpturen als Dialektik von Form und Leere, Projekt und Objekt zeigte, einer wenn möglich rigoroseren Bestimmung zu- zuführen: Eingefasst in der Oberfläche, die Catelani horizontal bearbeitet, wird dieser Unterschied zum Prinzip der Beziehung zwischen optischer Fläche und materieller Fläche, des ständigen Hervortretens der Farbe vom Grund und des Grundes in der Farbe, die ihn gegenwärtig macht. Die Kontrolle dieser Beziehung gebietet sehr bestimmte Entscheidungen auf formaler Ebene und deshalb entwickeln sich die Bilder von Antonio Catelani um ein Zentrum. Wir haben symmetrische Effekte, die sich in den zwei Dimensionen der Fläche entfalten, Farbfelder, die die Oberfläche der Leinwand gleichmäßig abgrenzen. Verschiedene Bereiche der Leinwand haben dank der Aufteilung der Farbflächen unterschiedliche Gewichtigkeit in der Ökonomie des Bildes. Sind es deshalb Bilder mit

einem kompositorischen Aufbau? Tatsächlich betrachten wir hier Werke, die kohärent in sich selbst sind, in einem gewissen Maß unbeteiligt am Wie und Wo sie ausgestellt werden sollen, die die Wand sieghaft herausfordern, weil sie ihre Grenze in sich tragen.
Auf den zweiten Blick jedoch muss sich diese scheinbare Bestimmtheit der Prüfung gegenteiliger Evidenzen unterwerfen. Denn die Art und Weise, in der sich die Farbflächen im Raster, das das Bild gliedert, anordnen, erscheint von Anfang an eingebunden in ein dialektisches Verhältnis zwischen Tiefenschichten, in denen percées und chromatische Kombinationen der scheinbaren Möglichkeit widersprechen, die Gesamtheit des Bildes in einem Verhältnis zwischen gleichmäßigen Oberflächen lösen zu können. Wir sind hier weit entfernt von einer parodistischen Wiederverwertung, in der zweiten Potenz, einer bestimmten modernistischen Malerei, wie sie Ende der Achtzigerjahre und Anfang der Neunzigerjahre betrieben wurde. Wenn dort die Gleichgültigkeit gegenüber dem ursprünglichen Interesse für die Reflexion über die Natur des Mediums zu einer freien Exposition der bemalten Fläche führte, wie um zu sagen, dass diese kein Problem mehr darstellt, weil sie bereits im ästhetischen Sinn ihre Konnotation hat, ist hier die Aufmerksamkeit auf die Art und Weise, in der sich die Malerei der Oberfläche auflegt und die Ebene konstituiert, größtmöglich, da sie das ursprüngliche Verhältnis bestimmt, dank dessen diese Bilder ihre künstlerische Position ausdrücken.
Jede Reproduktion dieser Bilder wird der materiellen Natur der Farbauftragung untreu, die diese aus- und die sich im Schaffen eines Bildes als wesentlich erweist, in der fruchtbaren Doppeldeutigkeit dieses Ausdrucks, der die Bedeutung der italienischen Termini “immagine“ und „quadro“ vereint. Der Einsatz des Siebdruckrahmens ermöglicht es dem Künstler paradoxerweise (welches Medium hat die Flachheit wie der Siebdruck auf sein Banner geschrieben), die immanente Gefahr des bloßen Nebeneinander à plat von Farbtönen abzuwenden. Der Siebdruckrahmen dient hier nicht dazu, Teile des Farbfeldes abzudecken, sondern die Dichte des Farbauftrags im horizontalen Sinn zu kontrollieren, dort wo das Sieb in seinem Gewebe der Leinwandkörnung entspricht. So stellt die Reihe der Überlagerungen Beziehungen von Flächen untereinander her, wo die Aussage der Tiefe, im Inneren jeder einzelnen unterschiedlich bestimmt, in Spannung tritt mit ihrer Lesart als flache Elemente, die alle zusammen die Ökonomie des Bildes ausmachen.
Der Akt des Abscherens der Farbe, der entfernt und gleichzeitig ans Licht bringt, ist in gewisser Weise der buchstäbliche Träger einer tief metaphorischen Intention. In den verschiedenen Werken dieser Serie ist das Verhältnis zwischen den Ebenen keinesfalls auf gleichartige Weise gelöst. Es gibt Arbeiten, bei denen die Farbe des Grundes durch dünne Schwellen zwischen einem Feld und dem anderen filtert, oder aber sie erscheint dank der Aktion der Spatel. Bei anderen Arbeiten wiederum scheint die Überlagerung im Gegenteil dazu beizutragen, die Interpretationsmöglichkeiten zu vervielfachen – was kam zuerst, das Violett oder das Orange?
Diese unterschiedlichen individuellen Lösungen sind jedoch alle auf dasselbe Ergebnis ausgerichtet. In gewisser Weise hat hier die Grammatik der Malerei den Primat vor deren Syntax, auch wenn es die Erschöpfung der syntaktischen und kompositorischen Möglichkeiten ist, die der grammatikalischen Kraft der Malerei zugrunde liegt. Der Umstand, dass Catelani weit davon absieht, Grundfarben aneinander zu setzen, widerspricht dieser These nicht. Wenn die Farbe ihre malerische Natur in der Überlagerung gewinnt, sozusagen in der vertikalen Richtung der Tiefe und nicht in der der horizontalen Ausdehnung, die von Natur aus dem grafischen Medium eigen ist, was könnte Höheres gelingen als dass der strahlende Farb-Licht Effekt ohne deren Zutun erzielt wird? Ein Weg, das einzigartige malerische von den Pigmenten erwirkte Wunder festzuhalten unter Umgehung des breiten Pfades des komplementären Kontrastes. Die Farbe, die dem Betrachter ein wenig von ihrer ursprüngli- chen Lichtnatur zurückgibt, muss Malerei bleiben, kann es aber nur bleiben, wenn sie durch ihre Tiefenfelder die Weite der bemalten Fläche definiert. Ein alchemistischer, vielleicht analytischer Prozess, wohl intensiv artikuliert, der aber die frische Präsenz des Werks nicht mit der Dichte der Artikulierung verwechselt. Wie um sagen zu wollen, dass die malerische Technik weder ein Verfahren zur Veranschaulichung von Ideen noch Pigmentküche ist, da das, was sie zu sehen gibt, die Form ihrer eigenen Darstellung ist. Unter den verschiedenen Versionen des Realen in der Kunst scheint diese die wünschenswerteste zu sein, da sie in sich die Fähigkeit birgt, sich selbst zu erfüllen.